Anatomie der Klaue

Warum sind die Klauen unserer Milchkühe so anfällig für Lahmheiten? Und welche Rolle spielen Betriebsmanagement und insbesondere die Funktionelle Klauenpflege bei der Vorbeuge? Das Modul behandelt ausgewählte Fakten rund um die Anatomie der Rinderklaue und soll helfen, diese Fragen zu beantworten.

Wichtige Strukturen an der Klaue des Rindes

Als Paarzeher haben Rinder an jeder Gliedmaße zwei Hauptzehen, die die Körperlast tragen. Die Paarigkeit beginnt unterhalb des Röhrbeins (Mittelfußknochen; s. Abbildung 1), wird aber von außen erst an den Klauen sichtbar, wo jede Zehe einzeln im Klauenhornschuh steckt. Die knöchernen Stützelemente der Zehen von oben nach unten sind:

  • Röhrbein
  • und an jeder Hauptzehe Fesselbein
  • Kronbein
  • Klauenbein

Auf der Hinterseite der Gliedmaßen befinden sich in Höhe des Fesselbeins zwei zusätzliche kleine Knochen, jeweils einer an jeder Zehe (s. Abbildung 1): Die Fesselsesambeine. Sie dienen als Gleitkörper zum Schutz der Beugesehnen. Auch an der hinteren Seite des Klauenbeins findet sich an jeder Zehe ein Klauensesambein als Gleitfläche für die tiefe Beugesehne.

Abb. 1: Wichtige Strukturen an Klaue und Fuß des Rindes (nach Toussaint Raven, 1985)

Anatomisch gesehen laufen Rinder auf den Zehenspitzen, das gesamte Körpergewicht lastet auf einer sehr geringen Auftrittsfläche. Dies bedeutet eine immense Druckbelastung für die Klauen. Um diesem Druck standzuhalten, bedarf es – neben der weiter unten erklärten Aufhängung des Klauenbeins im Hornschuh – guter Stoßdämpfer an der Fußungsfläche. Im Bereich des sogenannten Beugeknorrens (Tuberculum flexorium), an den die tiefe Beugesehne angeheftet ist, ist die Lederhaut durch übergelagerte Fettpolster geschützt (s. Abbildung 1). Das gelartige Fettgewebe wirkt beim Auftreten dämpfend, ähnlich der Funktion von Gelkissen in den Kammern von Laufschuhen (s. auch Klauenmechanismus weiter unten auf der Seite). Der mächtige Ballen ist ebenfalls gut durch Fettinseln und Bindegewebe gepolstert.

Der Klauenhornschuh

Gewebe und Knochen der Rinderklaue werden von einer Hornkapsel umschlossen, einer Abwandlung der Haut. Unter dem Mikroskop lassen sich daran von innen nach außen drei Schichten unterscheiden, die für die Hornbildung verantwortlich sind:

  • Unterhaut (Subcutis) – eine lockere Verschiebeschicht über dem Knochen. Sie besteht aus Fett- und Bindegewebe. Auch das Fettpolster im Ballen gehört zur Unterhaut. Diese fehlt im Sohlenbereich der Klauenspitze und entlang der Klauenwand, wodurch die Lederhaut direkt dem Knochen aufliegt.
  • Lederhaut (Corium) – reich an Blut- und Lymphgefäßen und Nervenbahnen. Aus diesem Grund bluten Verletzungen der Lederhaut stark und sind besonders schmerzhaft. Die Lederhaut wird auch als „das Leben“ bezeichnet, weil sie die darüber sitzende blutgefäßlose Oberhaut mit Nährstoffen versorgt und so die Hornbildung ermöglicht.
  • Oberhaut (Epidermis) – Die Oberhaut ist eine robuste Schutzschicht. Sie besteht aus mehreren  Zellschichten, die nach außen hin verhornen (absterben). Alle Hornteile der Klaue entstammen der Oberhaut.

Man unterscheidet zwei Arten der Verhornung: Die weiche Verhornung kommt hinten am Zehenballen (weicher Ballen) und im Saumabschnitt (s. Abbildung 2) vor. Das entstehende Horn ist wenig widerstandsfähig und nutzt sich rasch ab. Bei der harten Verhornung entstehen das belastbare Kron- und Sohlenhorn. Im hinteren Bereich der Fußungsfläche findet anatomisch gesehen zwar auch eine weiche Verhornung statt, allerdings ist das gebildete Horn deutlich fester und robuster als im Bereich des weichen Ballens. Aus diesem Grund wird der Bereich als harter Ballen bezeichnet. Die letztgenannten Hornarten nutzen sich erst beim Laufen ab. Die Hornbildungsrate ist in den verschiedenen Bereichen der Klaue unterschiedlich. Im Mittel wachsen die Klauen zwischen vier und acht Millimetern im Monat. Im Bereich der weißen Linie und des Ballens wird schneller Horn nachgebildet, worunter allerdings die Widerstandsfähigkeit leidet (Maierl, 2000).

An der Klaue, oder besser gesagt an der Hornkapsel, lassen sich fünf Abschnitte unterscheiden (s. Abbildung 2), die jeweils eine eigene Hornart produzieren:

  1. Saumabschnitt
  2. Kronabschnitt
  3. Wandabschnitt
  4. Sohlenabschnitt
  5. Ballenabschnitt
Abb. 2: Die fünf hornproduzierenden Abschnitte der Klaue (nach: DLG-Leitfaden Biomechanik der Klaue)

Der Saumabschnitt schafft einen weichen Übergang zwischen behaarter Haut und Hornschuh. Das gebildete Saumhorn ist eine weiche Glasurschicht, die nur im oberen Drittel der Klauenwand vorhanden ist, weil sie schnell abgenutzt wird. Es reguliert den Feuchtigkeitsgehalt des Kronhorns, das darunter hervorkommt.

Der darunterliegende Kronabschnitt bildet eine harte Schutzschicht. Das gebildete Kronhorn, auch Kronhornplatte genannt, erstreckt sich über die gesamte Vorder- und Außenwand der Klaue bis zum Ballen und auch ein Stück im Zwischenklauenspalt. Es wird vom Kronrand nach unten geschoben und muss an der Auftrittsfläche durch Beanspruchung der Klaue abgerieben werden.

Der Wandabschnitt liegt zwischen Kron- und Sohlenabschnitt und bildet den Aufhängeapparat des Klauenbeins. Darunter versteht man die wichtige Aufgabe, das Klauenbein über Wandlederhaut und Wandhorn an der Kronhornplatte stabil aufzuhängen, weswegen hier die Unterhaut als Verschiebeschicht fehlt. Die Verankerung an der Wand des Hornschuhs verhindert, dass das Klauenbein und damit das gesamte Körpergewicht im Stehen und Gehen auf der Lederhaut der fußenden Bereiche (s. Abbildung 3) lastet. Dies würde durch den immensen Druck in kürzester Zeit zu Minderdurchblutung und Absterben der empfindlichen Lederhaut führen. Das Wandhorn wächst mit dem Kronhorn nach unten und ist an der Unterseite der Klauen nur als schmaler Saum, „weiße Linie“ genannt, zu sehen (s. Abbildung 3). Deren Breite beträgt vier bis fünf Millimeter.  An Klauen mit chronischer Rehe kann die weiße Linie durch Rotation des Klauenbeins verbreitert sein. Die Zusammensetzung des Horns in der weißen Linie unterscheidet sich aufgrund seiner Spezialaufgabe als Aufhängeapparat des Klauenbeins von den anderen Hornarten, es ist bröckelig und von minderer Qualität. Besonders am hinteren Ende im Ballenbereich ist es weich und anfällig.

Der Sohlenabschnitt folgt innen auf die weiße Linie und macht nur einen schmalen Hornbereich der Klauenunterseite aus. Er bildet die Grenze zwischen Wand- und Sohlenfläche (s. Abbildung 3). Das Sohlenhorn ist mit bloßem Auge nicht vom harten Ballen zu unterscheiden. Auch hier fehlt die Unterhaut als Polsterung, die Lederhaut ist fest mit dem Klauenbein verankert. Deswegen greifen Verletzungen an der Klauenspitze rasch auf das Klauenbein über (s. auch Sohlenspitzengeschwür- und nekrose im Modul Erkrankungen und Diagnoseschlüssel). Der Bereich der Hohlkehlung gehört nicht zur physiologischen Fußungsfläche. Abbildung 3 zeigt eine natürliche Kehlung, die durch Abschilferung durch Einsinken in weichem Erdboden entsteht. Bei der Funktionellen Klauenpflege muss zur Vorbeuge von Überlastung eine breitere Kehlung angelegt werden (s. auch Anlegen der Hohlkehlung im Modul Die Funktionelle Klauenpflege).

Abb. 3: Schematische Darstellung der verschiedenen Bereiche der Klauenunterseite (nach Toussaint Raven, 1985)

Eine Frage der Haltung

Die Aufstallung der Tiere hat großen Einfluss auf die Hornbildung. Klauenerkrankungen reflektieren Defizite in der Haltungsumwelt der Tiere. Das Laufen auf nachgiebigem Weideboden führt durch Abrieb beim Einsinken zu einer natürlichen Hohlkehlung, wodurch der Hornschuh im hinteren Bereich dehnbar bleibt. Moderne Laufställe sind ein großer Schritt hin zu einem besseren Tierwohl – gar keine Frage. Jedoch verhindern die harten Böden ein Einsinken der Klauen und führen häufig zu Überlastungen bestimmter Abschnitte der Klauenunterseite. Besonders häufig betroffen ist die hintere Außenklaue – etwa 80 % aller Klauenerkrankungen treten hier auf! Die Klauen können sich zwar in einem gewissen Rahmen den Haltungsbedingungen anpassen, aber unzureichenden bzw. zu starken Abrieb durch nicht entsprechenden Bodenbelag können sie nicht vollständig ausgleichen. Hier ist eine regelmäßige Funktionelle Klauenpflege besonders wichtig, wie das nachfolgende Video erklärt:

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Der Klauenmechanismus

Unter dem Klauenmechanismus versteht man die Verformung des Klauenschuhs bei Gewichtsaufnahme zur Abfederung der immensen Belastung. In der folgenden Animation 1 (Maierl J., 2017) sieht man die schematische Seitenansicht einer Klaue im Moment der Fußung und welche Aufgaben dabei den einzelnen Strukturen zukommen:

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Im Moment des Auftretens zieht der Aufhängeapparat des Klauenbeins die Klauenplatte im vorderen Abschnitt nach hinten-unten. Das Klauenbein sinkt im Bereich des Beugeknorrens und des restlichen harten Ballens in Richtung Sohle und drückt die darunterliegenden Fettpolster seitlich auseinander. Der Ballen wird in die Breite gedehnt, inklusive der wenig robusten weißen Linie. Eine gefährliche Sollbruchstelle für die Bildung von Rissen, die das Eindringen von Keimen ermöglichen. Nach dem erneuten Anheben des Fußes federt der Klauenschuh wieder in seine Ausgangsform zurück.

Nur ein funktionierender Klauenmechanismus kann die Abfederung von 650 und mehr Kilogramm Körpergewicht leisten. Werden Klauen nicht rechtzeitig gepflegt, wird das Kronhorn durch die schräge Wuchsrichtung an der Klauenspitze nach vorne immer länger. Die Klaue kippt nach hinten und der Ballen wird überlastet (Animation 2, Maierl J., 2017). Dies ist eine wichtige Ursache für die Entstehung von Geschwüren in diesem Bereich (s. auch „Ursachen Rusterholz’sches Sohlengeschwür“ im Modul Erkrankungen und Diagnoseschlüssel).

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Im Laufe des Lebens nimmt der Beugeknorren an Umfang zu, wodurch der Druck auf die Klauenlederhaut zunimmt. Zudem wird die Belastung der Lederhaut noch durch die im Laufe des Lebens sinkende Zugfestigkeit der Aufhängung des Klauenbeins und die abnehmende Elastizität im Ballenpolster verstärkt. Auch hier ist eine regelmäßige Funktionelle Klauenpflege mit gründlicher Hohlkehlung zur Entlastung des typischen Druckpunktes unterhalb des Beugeknorrens das A und O, um Probleme zu verhindern. Sonst läuft die Lederhaut Gefahr, schlechter durchblutet zu werden, wodurch minderwertiges Horn gebildet wird. In der Folge kommt es zu Quetschungen, die sich in Sohlenblutungen am typischen Druckpunkt darstellen bis hin zum Rusterholz’schen Sohlengeschwür.

Die zitierte und verwendete Literatur finden Sie im Impressum.

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