Prophylaxe und Früherkennung

Wie erkennt man eine lahme Kuh? Und wie erkennt man sie rechtzeitig? Was kann man tun, um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen? Diese Fragen werden im folgenden Modul mit praxistauglichen Hinweisen und Tipps beantwortet. Zusätzlich gibt es Videos und Bilder, die das Auge schulen und fit machen für die Erkennung von lahmen Kühen im Stall und auf der Weide.

Warum ist das frühe Erkennen von lahmen Tieren so wichtig?

Ausschlaggebend für die rechtzeitige Behandlung von Klauenproblemen ist die frühzeitige Erkennung von Lahmheit. Kein Tier darf unnötige Schmerzen erleiden. Auch finanziell lohnt sich ein frühes Eingreifen. Studien zeigen, dass die Milchleistung schon lange sinkt, bevor eine Kuh sichtbar lahm geht – und zwar bis zu vier Monate vorher (z. B. Green et al., 2002). Um Verluste möglichst gering zu halten, ist die rechtzeitige Erkennung von Lahmheit im Anfangsstadium besonders wichtig – jedoch auch besonders schwierig.

,,Jede Verzögerung in der Behandlung reduziert die Heilungsrate – daher ist die Früherkennung der Schlüssel zum Erfolg“ (Thoms et al., 2016).

Aber warum ist die Erkennung von lahmen Kühen im Frühstadium so eine große Herausforderung? Als Beutetiere sind Kühe in ihrer natürlichen Umgebung darauf angewiesen, sich Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Sie zeigen erst dann eine Lahmheit, wenn es gar nicht mehr anders geht.

Unterscheidung der Schwere der Lahmheit

In Wissenschaft und Praxis hat sich die Lahmheitsbewertung in Form von Scores eingebürgert. Dabei werden unterschiedlichen Stufen der Lahmheit unterschiedliche Ziffern zugeordnet. Das weit verbreitete Locomotion Scoring, das 1997 von Sprecher und Kollegen entwickelt wurde, arbeitet zum Beispiel mit den Noten 0 bis 5. Eine ausführliche Beschreibung dazu finden Sie in unserem Modul 3 „Bewegungsbeurteilung bei Kühen“.

Die frühzeitige Lahmheitserkennung beginnt dabei allerdings schon bei der Bewegungsnote 2, die als leicht lahm bezeichnet werden kann. Lahmheiten ab der Note 3 sind mittelgradig schwerwiegend und können nicht mehr als „frühzeitig erkannt“ bezeichnet werden.

Wie erkennt man eine lahmende Kuh in der Bewegung?

Kühe sind Meisterinnen im Verbergen ihrer Schmerzen und müssen deshalb genauestens und regelmäßig beobachtet werden, um selbst kleinste Veränderungen zu bemerken. Das geht nur, wenn man den Gang einer gesunden Kuh beurteilen kann. Im nachfolgenden Video werden die Charakteristika eines physiologischen Gangbildes von Tierärztin und Klauenexpertin Dr. Andrea Fiedler vorgestellt:

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Nochmal als kurze Zusammenfassung: Eine gesunde Kuh läuft im gleichen Tempo wie der Rest der Herde, in etwa so schnell wie ein Fußgänger. Sie hat einen gleichmäßigen Gangrhythmus, den Kopf hält sie stabil leicht unterhalb der Rückenlinie und ihr Rücken ist gerade. Sie verteilt das Gewicht gleichmäßig auf alle Füße und tritt mit den Hinterklauen in den Abdruck der Vorderklauen.

Wenn mindestens eines dieser Merkmale nicht erfüllt wird, kann dies ein Hinweis auf Klauenprobleme sein. Die Kuh sollte daraufhin genau beobachtet und so bald wie möglich im Klauenstand untersucht werden.

Im folgenden Video werden leicht- bis mittelgradig lahme Kühe hinsichtlich der Indikatoren zur Gangbeurteilung unter die Lupe genommen:

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Man kann man sich als Faustregel merken: Eine leicht lahme Kuh hat im Gang einen leicht aufgekrümmten Rücken, im Stand hält sie ihn noch gerade. Ihr Gang ist leicht unregelmäßig. Eventuell bildet die Kuh plötzlich das Schlusslicht der Herde.

Eine mittelgradig lahme Kuh hat sowohl im Stand als auch im Gang einen leicht aufgekrümmten Rücken und zeigt auf mindestens einem Bein eine verkürzte Schrittlänge. Außerdem zeigen die Tiere das typische Kopfnicken, das der Entlastung der betroffenen Klaue im Gang dienen soll.

Die genauen Charakteristika der verschiedenen Beurteilungsnoten erfahren Sie im folgenden Modul 3.

Wie erkennt man eine Kuh mit Gliedmaßenproblemen, wenn sie steht?

Das Ausschau halten nach lahmen Tieren sollte tägliche Routine sein. Oft ist es aber schwierig, zusätzliche Arbeitsabläufe in den bereits sehr vollen Arbeitsalltag zu integrieren. Das nächste Video gibt Tipps, die die Umsetzung der Lahmheitsbeurteilung erleichtern und die Begutachtung am stehenden Tier erklären.

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Auf die Checkliste zur Beurteilung der lahmen Kühe im Stand gehören also:

  • Grad der Rückenkrümmung und Kopfhaltung
  • Geschwindigkeit der Futteraufnahme
  • Art der Belastung des Beckens
  • Stellung der Gliedmaßen von hinten und von der Seite
  • Verschmutzung der Sprunggelenke und der Afterklauen
  • Begutachtung des Zwischenklauenspalts

Besonders die Begutachtung der Stellung der Hintergliedmaßen kann sehr aufschlussreich sein. Im gesunden Zustand wird das Gewicht der Kuh gleichmäßig auf alle Klauen verteilt (siehe Bild 2.1). Ob die Belastungsverhältnisse physiologisch sind oder nicht, lässt sich gut erkennen, wenn man die Gliedmaßen der  Kuh von hinten im Stand beurteilt: Dafür zieht man eine gedachte Linie (grün gestrichelt) von den Sitzbeinhöckern senkrecht nach unten. Wenn der Abstand zwischen den Klauen größer ist als der Abstand zwischen den gedachten Linien, nennt man die Stellung bodenweit (siehe Bild 2.2).  Diese Stellung entsteht, wenn die Außenklaue zu lang wird. Die Kuh versucht, den Druck von der Klaue zu nehmen, indem sie die Hinterbeine in weiterem Abstand voneinander aufstellt. Die Klaue befindet sich nun in einem anderen Winkel, es herrschen verschobene Belastungsverhältnisse. Eine bodenweite Stellung lässt sich gut durch die Funktionelle Klauenpflege korrigieren.

Eine andere Symptomatik, die oft in Kombination mit der bodenweiten Stellung auftritt, ist der zehenweite Stand. Die Kuh dreht die Klauen nach außen, um eine weitere Entlastung zu erreichen.
Sowohl die bodenweite als auch die zehenweite Stellung sind ein Warnsignal für den Landwirt: Eine Funktionelle Klauenpflege kann hier Schlimmeres verhindern!
Bei lang anhaltender Fehlbelastung kann es im Extremfall zu einer kuhhessigen Stellung kommen. Dabei handelt es sich um eine orthopädische Fehlstellung, die oft aus der zehen- oder bodenweiten Stellung entsteht und sich auch durch die Klauenpflege nicht mehr komplett beheben lässt. Die Kuhhessigkeit kann auch als angeborene Stellungsanomalie auftreten. Man erkennt die kuhhessige Stellung daran, dass die Tarsalgelenke eng beieinander stehen, während die Fesselgelenke weit voneinander entfernt sind und die Klauen nach außen gedreht sind. Man kann sagen, die Kuh hat „X-Beine“ (siehe Bild 2.3).

Bild 2.1 (links): Physiologischer Stand des Rindes; Bild 2.2 (Mitte): Bodenweiter Stand ; Bild 2.3 (rechts): Kuhhessige Stellung (nach: A. Fiedler, S. Nüske, J. Maierl 2000)

Wie das folgende Video zeigt, ist es mit der oben stehenden Checkliste keine große Herausforderung mehr, am stehenden Tier Klauenprobleme zu entdecken:

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Die Begutachtung des Zwischenklauenspaltes auf die Mortellaro’sche Erkrankung ist im Melkstand oft einfacher als im Fressgitter. Näheres dazu erfahren Sie im Modul 7 „Die Mortellaro’sche Krankheit.“

Lahmheitsprophylaxe

Im besten Fall gibt es natürlich gar keine oder kaum lahme Kühe im Stall. Es gibt eine Reihe von Managementmaßnahmen, die man ergreifen kann, um das Risiko von Lahmheiten zu minimieren. Die wichtigsten Punkte sind dabei gute Stallhygiene und eine ausgewogene, wiederkäuergerechte Fütterung.

Hygiene und Gestaltung der Liegeboxen und Laufflächen

Feuchtigkeit und Schmutz auf den Lauf- und Liegeflächen erhöhen das Erkrankungsrisiko stark, insbesondere für infektiöse Erkrankungen wie Dermatitis digitalis, Ballenhorn- oder Klauenfäule. In aufgeweichte oder geschädigte Haut können Krankheitserreger besonders einfach eindringen, so dass feuchte Laufwege, lange Stehzeiten in Gülle und verschmutzte Liegeboxen eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Erkrankungen spielen.

Bild 3: Ein gutes Laufflächenmanagement ist ausschlaggebend für gesunde Klauen.

Die Laufgänge müssen trittsicher und rutschfest, sauber und trocken sein. Die Tiere laufen ungern auf rutschigen Flächen.

Auch der Komfort der Liegeboxen ist von Bedeutung. Entspricht die Liegefläche nicht der Anzahl und den Dimensionen der Tiere und ist sie nicht verformbar, unsauber und feucht/nass, verkürzt sich die Liegedauer der Tiere. Im Idealfall liegt eine Kuh 12 bis 14 Stunden am Tag in mehreren Intervallen. Liegen bedeutet Klauenentlastung. In dieser Zeit erholt sich die Klauenlederhaut von der Druckbelastung beim Laufen und wird gut durchblutet. Die Haut am Unterfuß kann abtrocknen, wodurch die Widerstandskraft erhöht wird.

Zu einer guten Stallhygiene gehört auch die regelmäßige Reinigung und Desinfektion des Stalls (im Laufstall möglichst 4x im Jahr) sowie die Erneuerung alter, spröder Gummimatten.

Wiederkäuergerechte Fütterung

Bild 4: Die Fütterung muss ausgewogen sein.

Eine unzureichende Ernährung führt zu einer Minderung der Klauenhornqualität und ebnet den Weg für Klauenerkrankungen. Die Fütterung beeinflusst die Klauengesundheit sowohl direkt durch Vitamin- und Mineralstoffunterversorgung als auch indirekt durch Proteinüberschuss und Stoffwechselerkrankungen wie Pansenazidose oder Ketose.

Pansenazidose
Eine Pansenazidose oder Pansenübersäuerung tritt hauptsächlich in den ersten Wochen nach der Kalbung auf. Meist fehlen akute Krankheitserscheinungen (subklinischer Verlauf) und die Krankheit äußert sich erst Wochen später durch Klauengesundheitsprobleme. Hauptursachen für die Pansenazidose sind ein Strukturmangel in der Ration und/oder ein Überschuss an leicht verdaulichen Kohlenhydraten. Die damit verbundene verminderte Wiederkauaktivität bedingt eine Reduktion des basisch wirkenden Speichels. Bei gleichzeitiger Überproduktion flüchtiger Fettsäuren und Milchsäure sinkt der pH-Wert ab und der Pansen übersäuert. In der Folge sterben Pansenbakterien ab, die schädliche Substanzen freisetzen. Diese gelangen ins Blut und schädigen die stark durchblutete, hornbildende Lederhaut. Die Hornbildung wird gestört, Klauenrehe und Sohlengeschwüre sind die Folge.

Bild 5: Stoffwechselkrankheiten, wie z. B. Ketose, können Klauenrehe bedingen.

Ketose
Eine Ketose entsteht durch die verminderte Futteraufnahme nach der Kalbung und den gleichzeitig rasant ansteigenden Energiebedarf in der Frühlaktation. Fehlt Energie, werden Körperfettreserven mobilisiert, wodurch es zu einer starken Belastung und Verfettung der Leber kommt. Diese kann ihrer Entgiftungsfunktion nicht mehr zur Genüge nachkommen. Gifte werden schlechter abgebaut, wodurch es zu Stoffwechsel- und Durchblutungsstörungen in der empfindlichen Lederhaut und zu Klauenrehe und deren Folgeerkrankungen kommen kann. Die gesamte Körperabwehr leidet, auch lokal an der Klaue.

Eiweißüberversorgung
Leberschäden können auch durch einen zu hohen Rohproteingehalt in der Ration (> 18-19 % in der Trockenmasse) begünstigt werden. Ein unausgewogenes Energie-Protein-Verhältnis führt auf Dauer zu einem Stickstoffüberschuss in der Leber, der energieaufwendig entgiftet werden muss. Dadurch entsteht ein Ammoniaküberschuss im Pansensaft, der dadurch alkalisch wird. Die Störung des Säure-Basen-Haushalts belastet den Energiehaushalt und die Leber, was wiederum zu einer gestörten Entgiftungsfunktion mit den oben beschriebenen Folgen führen kann.

Hängt der Body-Condition-Score mit dem Auftreten von Lahmheiten zusammen?
Sowohl der Body-Condition-Score (BCS) als auch die Dicke der Ballenunterhaut bzw. des Fettpolsters scheinen laut verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen einen Einfluss auf die Klauengesundheit zu haben. Je geringer der BCS bzw. je dünner die Ballenunterhaut, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten von Lahmheiten. Die Vermutung liegt nahe, dass in Phasen einer negativen Energiebilanz, also vor allem in der Zeit rund um das Kalben, Fett auch aus dem Fettpolster im Ballen mobilisiert wird und dieses dementsprechend dünner wird. Die Klaue ist dann weniger gut „gefedert“ (Randall et al., 2015, Newsome et al., 2017). Dies ist ein weiterer Grund, warum eine optimal angepasste Fütterung in der Zeit rund um die Kalbung essentiell für eine gute Klauengesundheit ist.

Vorbeugen ist besser als Heilen!

Eine ausgewogene Fütterung und gute Stallhygiene sind das A und O der Lahmheitsvorbeugung. Fallen trotz aller Vorbeugemaßnahmen Kühe mit unregelmäßigem Gang auf, sollten diese zum Wohl der Tiere sofort im Klauenstand behandelt werden. Mit ein bisschen Übung ist es nicht mehr schwierig, diese Kühe rechtzeitig zu entdecken!

Die zitierte und verwendete Literatur finden Sie im Impressum.

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